Dieser Text entstand unter Zuhilfenahme des Werks „Geschichte der Verbindung Leonensia. 1871-1971“. Dank und Gedenken für ihre unermüdlichen Recherchen gilt den verstorbenen Autoren Carl Gernandt und Martin Dorfmüller.
Vom Kaiserreich bis zum Ersten Weltkrieg (1871 – 1914)
Im Sommersemester 1871 gründeten junge Studenten der Ruprecht-Karls-Universität eine Tischgesellschaft im Lokal zum Goldenen Löwen. Die Gesellschaft war ein loser Zusammenschluss zum Trinken und Feiern ohne Statuten, Entscheidungsorgane und festen Mitgliederstatus. Dies änderte sich im folgenden Wintersemester, als auf Antrag von Karl Reuling, Paul von Boltenstern und Ernst Keller Statuten verabschiedet wurden, die die Einrichtung eines dreiköpfigen Ausschusses zur Geschäftsleitung vorsahen. In der Folgezeit wurden die ersten Schritte hin zu einer Verbindung getan: Es entstanden Zirkel, Wappen, Bundeslied und – in Anlehnung an das Kneiplokal zum Goldenen Löwen – der Name Leonensia. Man führte einen Biercomment ein und legte Wahl und Kompetenzen der Ausschussämter (Chargen) fest.
Die Ereignisse des Jahres 1878 sollten zu einer schweren Prüfung für den Zusammenhalt der jungen Gemeinschaft werden: Da sowohl die Leonensia als auch das Corps Vandalia den Großteil ihrer Mitglieder aus Mecklenburg bezogen, entbrannte ein harter Konkurrenzkampf zwischen beiden Korporationen. In der ständischen Zeit des jungen Kaiserreichs war es unter Studenten üblich, Ehrenstreitigkeiten mit Waffenduellen beizulegen. Dieses Institut machte sich die Vandalia zunutze, um Leonenser bei jeder Gelegenheit zu Mensuren sowie Pistolen- und Säbelduellen zu fordern. Unter diesem Druck entschied man sich, die unbedingte Satisfaktion bei Beleidigungsfällen einzuführen und schaffte sich mit den Korporationen Rupertia und der Hamburger Gesellschaft eigene Paukwaffen an. 1880 war schließlich der letzte Schritt zu einer richtigen Verbindung getan: Die Leonensia wurde behördlich als Verbindung eingetragen und das schwarze Prinzip des Nichtfarbentragens in den Statuten als unabänderlich festgeschrieben. Noch heute zieht der Versuch, das zu ändern, den automatischen Ausschluss aus der Verbindung nach sich.
1882 führte der Burschenconvent – das maßgebliche Verbindungsorgan für Chargenwahlen und Satzungsänderungen – den Status als Inaktive ein. Inaktiver konnte ein jeder Bursch werden, der seit drei Semestern Chargen übernommen und an den obligatorischen Semesterveranstaltungen teilgenommen hatte. Eine wichtige Etappe stellte die Gründung des Altherrenverbandes im Jahre 1886 dar, dem fünf Jahre zuvor die Gründung eines Altherrenfonds vorangegangen war. Der Altherrenausschuss erhielt als Exekutivorgan des Altherrenverbandes vier Stimmen auf dem Burschenconvent und das Recht, diesem die Befassung mit Entscheidungen zu verbieten, die gegen Grundprinzipien der Leonensia verstießen. Die innere Organisation wurde abgeschlossen, indem die Mitglieder in Füchse und Burschen (Aktive, Inaktive und Alte Herren) eingeteilt und die Entscheidungsorgane Burschenkonvent und Alterrenausschuss abgegrenzte Kompetenzen erhielten.
Um der gewachsenen Gemeinschaft ein festes Domizil für Kneipen, Convente und Wohnraum zu schaffen, gründete der Altherrenverband im März 1892 die Aktiengesellschaft Leonensia. Mithilfe der Aktiengesellschaft konnte in der Klingentorstraße 10 ein Grundstück erworben und bebaut werden. Bereits im Januar 1893 folgte die feierliche Einweihung des Leonenserhauses. 1902 übernahm die Hausverwaltung dann der eingetragene Verein Leonenserhaus, der bis heute besteht. Im Jahr 1907 kam es wieder zu Platzmangel, worauf das Haus erweitert wurde.
Erster Weltkrieg und Weimarer Republik (1914-1933)
Der Beginn des Ersten Weltkriegs bedeutete schwere Zeiten für die Leonensia. Ab Oktober 1914 ruhte der Verbindungsbetrieb vollständig, da 200 Leonenser zum Dienst an der Waffe eingezogen worden waren, von denen 30 im Krieg starben. Nach Kriegsende diente das Leonenserhaus kurzzeitig als Tuchschneiderei des Roten Kreuzes. Dank der finanziellen Unterstützung der Alten Herren, die 1913 ihre jährlichen Mitgliedsbeiträge von 10 auf 20 Reichsmark verdoppelten, konnte das Haus trotz Knappheit, Teuerung und Geldentwertung gehalten und der Aktivenbetrieb nach dem Krieg wieder aufgenommen werden. Drei Verbindungsbrüder erklärten sich bereit, vorübergehend die Chargen für das sogenannte „Kriegsnotsemester“ ab dem 27. Januar 1919 zu übernehmen. Als noch vor Semesterende drei Füchse aufgenommen wurden, war klar, dass die Leonensia trotz aller Widrigkeiten weiter bestehen würde.
Wegen der hohen Bierpreise wurden Kneipen seit dem Sommersemester 1920 nur noch alle 14 Tage gehalten, statt – wie vor Kriegsausbruch – zweimal wöchentlich. In den Fokus der Verbindungsaktivität rückte ein akademisch-sportliches Programm: Einmal wöchentlich wurde auf dem Haus ein Vortrag zu politischen oder wissenschaftlichen Themen ausgerichtet, man übte sich im Turnen, Schwimmen und natürlich dem Pauken, ging auf ausgedehnte Wanderungen im Heidelberger Umland und besuchte – wenn das Geld reichte – Theaterstücke oder Konzerte. 1923 erhöhte der Altherrenverband die Jahresbeiträge auf 40 Reichsmark und 1928 auf 60 Reichsmark, da die Aktivitas wegen der erhöhten Lebenshaltungskosten dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen war.
Machtübernahme der NSDAP – Gleichschaltung, Auflösung, Kameradschaft, Krieg (1933-1945)
Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, bedeutete dies für das gesamte deutsche Verbindungsstudententum weitreichende Konsequenzen. Ein nicht geringer Teil der Verbindungslandschaft begrüßte die nationalsozialistische Machtübernahme aufgrund der in Verbindungskreisen weit verbreiteten völkisch-nationalen Gesinnung, der Unzufriedenheit mit der Versailler Nachkriegsordnung und der Weimarer Republik, die nicht in der Lage war, die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu bewältigen. Obwohl die neuen Machthaber verbindungsstudentische Traditionen und Werte wie Treue zum Vaterland, Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft und Charakterbildung bei der Mensur zu schätzen wussten, überwogen die Unvereinbarkeiten mit der nationalsozialistischen Weltanschauung: Das Führerprinzip verstieß gegen das demokratische Conventsprinzip, der Ausschluss jüdischer Verbindungsbrüder verletzte das Lebensbundprinzip, die geistig-weltanschauliche Gleichschaltung sämtlicher Verbindungen war nicht mit der Einzigartigkeit einer jeden Korporation in Einklang zu bringen und die Idee einer egalitären Volksgemeinschaft passte nicht zur bewussten Abgrenzung der Verbindungsstudenten vom Rest der Gesellschaft.
Dennoch vollzogen nahezu sämtliche Verbindungen eine schnelle Anpassung an das neue Regime, um einer Auflösung zu entgehen: Am 29. Juli 1933 setzten Burschenconvent und Altherrenconvent der Leonensia das Ehrenmitglied Friedrich Tischbein als Verbindungsführer ein, dem fortan sämtliche Entscheidungen oblagen. Von den 14 Verbindungsbrüdern, die jüdische Wurzeln hatten oder mit jüdischen Frauen verheiratet waren, erklärten sechs ihren freiwilligen Austritt, damit die Verbindung weiter bestehen könne. Am 15. Oktober 1935 musste Tischbein angesichts einer ultimativen Aufforderung des stellvertretenden Führers des Miltenberger Rings den restlichen jüdischen Verbindungsbrüdern mitteilen, dass sie nicht mehr in der Leonensia verbleiben könnten. War Hitler bisher einer direkten Konfrontation mit den Korporationen aus dem Weg gegangen, ließ er 1936 die gleichzeitige Mitgliedschaft in Gliederungen der NSDAP und Studentenverbindungen „im Interesse einer einheitlichen Ausrichtung des deutschen Studententums“ verbieten. Da die gesamte Aktivitas am 20. Juni 1933 dem Stahlhelm oder der SA beigetreten – und somit Teil einer Parteigliederung – war, musste die Verbindung am 16. Mai 1936 suspendiert werden, so dass nur noch Altherrenverband und Verein Leonenserhaus weiter bestanden.
Aus finanziellen Gründen schloss der Altherrenverband 1937 einen Vertrag mit dem Führer der Heidelberger Studentenschaft und überließ das Leonenserhaus der Kameradschaft „Achim von Arnim“ zur Miete. Eigentümer blieb weiterhin der Verein Leonenserhaus. Da der Kameradschaftsführer der Bestätigung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes bedurfte, war sichergestellt, dass Wehrübungen und politische Schulungen im Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung einen großen Raum einnahmen. Gleichzeitig kam es aber auch zu einer „Renaissance“ des Verbindungslebens, was damit zusammenhing, dass ein Großteil der Alten Herren der Altkameradschaft beitraten und so Einfluß auf die jungen Neuzugänge ausübten und der Nationalsozialistische Studentenbund den Kameradschaften größere Freiheiten ließ: Die Mitglieder kneipten wie früher, tauschten Bier- und Weinzipfel, übernahmen das Motto der Leonensia: „Furchtlos und treu“ und nahmen an den traditionellen Spargelessen und Ausflügen mit Damen und Alten Herren teil.Ab 1943 traten die geselligen Veranstaltungen mehr und mehr in den Hintergrund: Viele Kameradschafter waren eingezogen, verwundet oder gefallen und die Güterknappheit ließ regelmäßiges Kneipen nicht mehr zu. 1944 wurde im Zuge der Verlegung kriegswichtiger Rüstungsbetriebe der größte Teil des Hauses der I.G: Farben überlassen.
Neuanfang (1945 – 1968)
60 Leonenser waren im Krieg umgekommen. Nach der amerikanischen Besetzung Heidelbergs am 30. März 1945 wurde das Leonenserhaus beschlagnahmt und diente zunächst als „sergeants club“. Dank der Voraussicht der Alten Herren Hermann Krause und Werner Landfried, die bereits 1944 die meisten Bilder, Wappen, Schläger, Trinkhörner, Gläser und Akten der Verbindung in einem Hohlraum versteckten, ist die Leonensia noch heute im Besitz vieler historischer Coleurgegestände, die den Besatzern anderenfalls als urige Souvenire in Auge hätten stechen können.
Am 18. Juli 1949 erkannte der Universitätsrektor den zuvor wiedergegründeten Verein Leonenserhaus als Rechtsnachfolger des alten Hausvereins an. Nun war die Verbindung wieder Eigentümerin des Leonenserhauses. Im Wintersmester 1949/50 gründeten fünf Söhne Alter Herren und Freunde der Verbindung eine neue Aktivitas, die bereits innerhalb der folgenden zwei Semester auf 13 Mann anwuchs. Die Leonensia begann wieder zu blühen, wenn auch mit geänderten Grundprinzipien, da man übereingekommen war, die unbedingte Satisfaktion als unzeitgemäß aufzugeben.
Im Jahrhundert vor dem Zweitem Weltkrieg zeichneten sich Verbindungen hauptsächlich durch Hingabe zum Vaterland, Pflege des Mensurwesens, Erziehung ihrer Mitglieder zur Bildungselite und Geselligkeit mit den Bundesbrüdern aus. Bald zeigte sich, dass die Aktivitas lediglich an der Pflege des vierten Wertes Interesse hatte. So weigerte sich die Aktivitas 1961 auf dem 90. Stiftungsfest zu Ehren der Opfer des Zweiten Weltkriegs zu chargieren und ist seitdem nie wieder in Chargenwichs aufgetreten. Auch an eine bewusste gesellschaftliche Abgrenzung als exklusiver Zirkel, der seine Ehre gegen Beleidigungen mit der Waffe verteidigte und sich als eigener Stand ansah und verhielt, war angesichts des Zustroms sämtlicher gesellschaftlicher Schichten an die Universitäten nicht mehr zu denken.
Die von den Studentenprotesten der 68er Jahre ausgehende Forderung nach Demokratisierung und Aufbrechung verknöcherter Traditionen hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Verbindung. Eine Reformgruppe aus jüngeren Alten Herren und Aktiven wandte sich gegen die aus ihrer Sicht hierarchische Struktur der Verbindung, gegen die daraus resultierenden restriktiven Einflüsse auf die Aktivitas und forderte für sie eine absolute Autonomie sowie die Auflösung des Fux-Burschenverhältnisses. Das Sommersemester 1968 zeichnete sich durch endlose Diskussionen aus, die für konkrete Taten keinen Raum mehr ließen. Kurz vor dem 97. Stiftungsfest wurden deshalb die Chargen mit Ausnahme des Fuxmajors abgesetzt. Der X verließ die Verbindung. XX, XXX und weitere Aktive folgten ihm im WS 1968. In den Folgesemestern konsolidierte sich das Verbindungsleben wieder. Das 100. Stiftungsfest vom 16. bis 19. Juli 1971 zeigte, dass der Zusammenhalt zwischen Jung und Alt keinen dauerhaften Schaden genommen hatte.
Der Rest der Verbindungsgeschichte von 1968 bis heute befindet sich in Arbeit.